Wenn die Organe ihr Schweigen brechen und die Seele streikt by Annelie Keil

Wenn die Organe ihr Schweigen brechen und die Seele streikt by Annelie Keil

Autor:Annelie Keil [Keil, Annelie]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Scorpio Verlag
veröffentlicht: 2015-03-02T23:00:00+00:00


III. Der Leib – das Zuhause der Organe, der Seele und der Krankheit

Die Angst, krank zu werden

»Ich sterbe jeden Tag mehrere Tode, weil ich ständig Angst habe, an einer tödlichen Krankheit zu leiden, sei es ein Schlaganfall, ein Herzinfarkt oder irgendeine Art von Krebs«, sagt eine Frau in einem Zeitungsinterview. Sie würde in der Regel als hypochondrisch gelten, das heißt, an einer psychischen Störung leiden, bei der die Betroffenen ausgeprägte Ängste haben, schwer krank zu sein, ohne dass es dafür einen angemessenen objektiven Befund gibt. Selten ist es so dramatisch wie in diesem Beispiel, aber Angst gehört unvermeidlich zu unserem Leben. Sie ist die Partnerin unserer Lebenslust und drückt oft mit Befindlichkeitsstörungen aus, wie es uns wirklich geht.

Angst hat viele Gesichter. Sie ist Bedrohung, Herausforderung und zugleich Wächterin und Schwester, die uns mahnt, achtsam zu sein, uns nicht zu überfordern und Sorge für die Zukunft zu tragen. Das kleine Überraschungsei hat uns im letzten Kapitel gezeigt, wie dramatisch und emotional ergreifend trotz guter Vorbereitung das Erlebnis der Geburt für jeden Menschen ist. Der kleine Mensch, der in eine fremde Welt geboren wird, der zu sich selbst kommen und auf eigenen Füßen stehen will, kommt nicht umhin, sich der Angst vor dem Unberechenbaren und dem ungewissen Ausgang seines Lebens zu stellen. Das Neugeborene ohne Risiko gibt es nicht. Es wird zum Daseinswandel gezwungen und muss die Seite wechseln. Als Tor zum Leben ist das Geburtsgeschehen eine Begegnung mit dem Tod, die Überwindung der Angst vor dem Leben, das als Aufgabe und komplexe Arbeit auf uns zukommt. Von einer Stunde auf die andere wird nach der Geburt aus einer Welt der relativen Ruhe, der selbstverständlichen Befriedigung, der Geborgenheit und Wärme eine Welt voller Unlust und Angst machender Bedrohung: Hunger und Durst, Lärm, Licht und Dunkel, Kälte, Einsamkeit, Trennung, Verlust, Entfremdung. Auf sich allein gestellt hätte das Neugeborene keine Überlebenschance. Von Anfang an spüren wir neben dem Gefühl der Eingebundenheit und Liebe unsere Hilfsbedürftigkeit, und die macht Angst. Sie zwingt uns, nach Hilfe zu suchen, verlangt Aushandlung und lebt von der Hoffnung, dass sich jemand unserer annimmt und erbarmt.

Angst ist das Erleben von Gefährdung, ein umfassender Erregungszustand, der durch die Bedrohung des Wohlgefühls hervorgerufen wird. An diesem Zustand sind wir mit Haut und Haar und dem gesamten Organismus beteiligt. In den bewegten Verhältnissen zwischen Gesundheit und Krankheit sind die beiden Pole Lebenslust und Lebensangst zwei wichtige Agenten. Jeder Schritt im Leben ist ein Schritt auf den Tod zu, aber bis dahin bleibt er ein Schritt im Leben. Die Spannungsbeziehung zwischen Lust und Angst begleitet uns lebenslang. Altersund entwicklungsgemäße Ängste, Beziehungs- und soziale Ängste zeigen uns die Felder von Bedrohung und Verunsicherung, die aber gleichzeitig Felder unserer Liebe und Hoffnung auf Leben sind. Wir wollen älter werden, uns gut entwickeln, gelingende Beziehungen eingehen, gute Arbeit finden, in Gemeinschaften mit anderen Menschen leben. Wir haben heute weniger Angst vor Donner, Blitz und Natur, aber mittlerweile nehmen Klimawandel, Hunger- und Naturkatastrophen uns die Sicherheit, dass uns dies nicht ängstigen muss. Krankheiten machen uns trotz oder gerade



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